Cochlea Implantat und Hörgeschädigten Selbsthilfegruppe

Wir können den Wind nicht ändern aber die Segel anders setzen....

Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen….

.damit auch Menschen mit Behinderung berufliche Träume verwirklichen können

März 1978 ….“ dieses Kind will einfach nicht hören“ ….diesen Satz kriegten meine Eltern oft zu hören…von Erziehern, Lehrern…bis dass die Diagnose feststand: beidseitige Mittelohrschwerhörigkeit – das Kind konnte einfach nichts hören...

Mit der richtigen Hörgeräteversorgung im zehnten Lebensjahr änderte sich alles….plötzlich umgeben von soviel Sprache, aber auch störenden Geräuschen, nahm ich regen Anteil an alles um mich herum.

Leute, ist das Leben aufregend! Die Regelschule musste sein – klar, ich wollte doch den Kontakt zu meinen Freundinnen halten – ich war mittendrin, und doch oft durch Nichtverstehen außen vor. Vieles bekam ich nicht mit, doch egal, ich war „normal“, das war mir am wichtigsten. Eine unter-stützende Mikrofonanlage für die Schule? Ne, dafür war ich zu stolz. Lieber schlechte Noten mit heimbringen. Doch es reichte ja auch so. Meinen Traumberuf als Erzieherin musste ich zugunsten einer soliden und sicheren Ausbildung als Verwaltungsfachangestellten beim „Papa Staat“ begraben

Originalton Eltern: „Kind, du bist schließlich schwerhörig“ .Ich weiß noch wie ich damals dachte: „Auch ich will Spaß im Beruf haben!“ Kennst Du diesen Traum?

– und der Wunsch nach einer pädagogischen Tätigkeit blieb.

März 2019: Wo stehe ich nun? Drei Jahrzehnte später? Eine Fortbildung steht aktuell an. Thema: „Einführung in die systemische Beratung“…..ja du hast richtig gelesen, „Beratung“.

Ich bin nun Diplom-Sozialarbeiterin – habe mir über Umwege (Fachabi an der Abendschule, Studium – wieder mal ohne Mikrofonanlage) wahrhaftig meinen Traumberuf erkämpft. Statt „Papa Staat“ ist mein Arbeitgeber heute ein Wohlfahrtverband. Nach mehreren befristeten Verträgen habe ich nun hier meinen festen „unbefristeten“ Platz gefunden und arbeite heute im Integrationsfachdienst, des Beratungsdienstes für Menschen mit Schwerbehinderung im Arbeitsleben.

Aber zurück zur Fortbildung: Aufgeregt warte ich mit 15 mir wildfremden Teilnehmern auf den Dozenten. Mit im Gepäck: eine futschneue Mikrofonanlage zur Erprobung mit besten Empfehlungen vom Hörgerätakustiker und mein fester Wille, diese auch zu nutzen!

Mittlerweile bin ich links ertaubt – jedoch seit 2012 mit einer Hörprothese ausgestattet, CI genannt. Ein technisches Wunderding – ich sag dir, ich höre jetzt tausend Dinge, die dieses Ding in elektronische Signale umgewandelt an meinen Hörnerv weitergibt- jedoch eben auch technische Tücken hat. Vor zwei Monaten erhielt ich ein Upgrade, quasi eine neue Software und ich wurde neu eingestellt, leider zu laut, wie sich herausstellte. Mein Hörnerv wurde völlig überreizt und kam mit der neuen Reizüberflutung nicht klar: Folge war Schwindel, Tinnitus, Kopfschmerzen in Störlärmsituationen, Kommunikation in Gruppen und andauernden Gesprächen. Um den Nerv erstmal zu beruhigen, wurde mein CI Prozessor so im Programm eingestellt, dass er die hohen – für die Sprache besonders wichtigen - Frequenzen dämpft – mit gewaltigen negativen Auswirkungen auf meine Hörleistung.

Als geselliger, kommunikativer Mensch blühe ich ja auf in Kontakten mit anderen Menschen – in der Freizeit und auf der Arbeit, vorausgesetzt die Verständigung klappt – klar! Diesbezüglich habe ich natürlich mittlerweile im Laufe meines Lebens Strategien entwickelt, wie ich mir die besten Hörbedingungen verschaffe. Not macht eben erfinderisch. Doch nun waren die Grenzen besonders eng gesteckt – in der Freizeit und auf der Arbeit !

Das zog mir erstmal den Boden unter den Füßen weg und nahm mir sehr viel meiner Selbstsicherheit und Unbeschwertheit. Hörunabhängige persönliche Stärken und Ressourcen waren mir nicht mehr bewusst und mehr als einmal brauchte ich hilfreiche Freundin- und Kollegengespräche, um mich emotional wieder zu „erden“ und eine optimistische Perspektive für mich zu sehen.

Was macht mich aus? Wer bin ich? Wie kann ich meine Leistungsfähigkeit schrittweise steigern? Fragen über Fragen.

Nach einer kurzzeitigen Arbeitsunfähigkeit versuchte ich mich an Einzelgesprächen. Es war anstrengend, lange zuzuhören, mitzudenken, Lösungsmöglichkeiten für ratsuchende Menschen gemeinsam zu entwickeln. Zwei Gespräche und ich war vollkommen erschöpft- eine Regenerationspause musste her, die Arbeitszeit auf mehr Tage verteilt, Neuanfragen an Teamkollegen verwiesen werden. Denn jede neue Stimme war quasi ein Fremdkörper für mein mit neuem Upgrade versehenes CI. Gespräche im Betrieb in Runden zwischen 5-8 Teilnehmern waren mir ein Horror, momentan so nicht leistbar…doch es wird wieder leistbar sein, diese Perspektive habe ich inzwischen wieder.

Inmitten dieser für mich gesundheitlich besonders belastenden Situation stelle ich fest, dass der Integrationsfachdienst genau der richtige Ansprechpartner für Leute wie mich bedeutet. Menschen, die mir zuhören und mich bei meiner Suche nach Perspektiven unterstützen. Die eine neutrale Position einnehmen. Die ich belasten kann mit meinen Ängsten aber auch Vorstellungen, wie unrealistisch sie vielleicht auch sein mögen. Etwas, wo Angehörige oftmals befangen sind, da sie die Konsequenzen mittragen müssen.

Ich persönlich habe nun das besondere Glück, dass ich auch noch genau in diesem Bereich als Sozialarbeiterin arbeiten kann – als Mensch mit individuellen persönlichen Stärken und gleichsam mit meiner Kompetenz als Sozialarbeiterin. Hier an dieser Stelle kann ich zu meinen gesundheitlichen Einschränkungen stehen und mit ihnen leben und arbeiten– mit Kolleginnen, die das vollste Verständnis für meine Grenzen haben und mich personell unterstützen, z.B. beim Schreiben von Protokollen, Moderieren von Gremien, mit mir wichtige Infoveranstaltungen nachbesprechen, Störlärmintensive Betriebsrundgänge für mich übernehmen.

Darüber freut sich mein Verstand und meldet sich mein Gewissen: Doch Halt, auch sie sind nur Menschen, die ihrerseits ihre Arbeit leisten müssen in ihrer Arbeitszeit – sie knapsen sich Zeit für dich ab, weil du es nicht leisten kannst. Diese Gefühle kommen immer wieder mal in mir hoch –, z.B. wenn es mal wieder eine anstrengende Hörsituation gab, ich eigentlich Nein zu einem weiteren Gesprächstermin sagen möchte und es doch übernehme, da ich den Kolleginnen nicht noch mehr zumuten möchte – mich aber eigentlich überfordere.

Diese Ambivalenz der Gefühle verfolgt mich mein Leben lang und ich muss lernen, mit ihr umzugehen. Was mir hier hilft?

Es beruhigt mich zu wissen, dass mein Arbeitgeber aufgrund meiner Schwerbehinderung finanzielle Leistungen nach dem Schwerbehindertengesetz in Anspruch nehmen kann und so meiner Kollegin Stunden zur personellen Unterstützung aufstocken kann. Damit sie durch mich nicht überlastet sind. Es entlastet mich ungemein, dass ich meinem Chef die belastenden Umstände schildern und gemeinsam nach entlastenden Arbeitsbedingungen suchen kann. Mit jeder persönlichen positiven Rückmeldung eines Klienten nach einem Erstgespräch, in welches er mit einem Block voller Fragen und resigniertem Bauchgefühl hineingeht und einem mit Infos vollgespicktem Kopf und einem warmen „Wir gehen gemeinsam die nächsten Schritte“ Gefühl wieder hinausgeht, fühle ich tief in mir, dass ich beruflich am richtigen Platz bin.

Meine gesundheitlichen Einschränkungen begleiten mich ein Leben lang – meine unbändige Freude am Leben, Kommunikation mit Menschen und Arbeit als Sozialarbeiterin im Integrationsfachdienst jedoch auch. Dies verlangt mir in vielen Situationen Gelassenheit und Humor beim Hinweisen auf meine Schwerhörigkeit und technischer Hilfsmittel, aber auch Kämpfergeist und Optimismus beim Erwirken entlastender Hilfen ab. Das gibt mir Power, immer wieder günstige Hörbedingungen für mich herzustellen. So nutze ich heute die Mikroportanlage in vielen Situationen, was mich zwar immer wieder aus der Gruppe hervorhebt, mir jedoch akustisch viel mehr Hörentlastung beschert.

Und ich sage mir heute: hätte ich es doch schon früher genutzt

Ich habe gelernt: ich kann den Wind nicht ändern, jedoch meine Segel, meine persönlichen Wege des Umgangs mit meiner Behinderung und meinen Mitmenschen, anders setzen. So setzen, dass ich auch ans Ziel komme, über Umwege, mit Beratung und Begleitung von professioneller Hilfe und finanziellen und technischen Hilfsmitteln, die ein gesunder Mensch vielleicht nicht braucht. Das Schwerbehindertengesetz will mir dies ermöglichen.

Dies gilt auch für alle sich an den IFD wendenden Ratsuchenden, die Fragen zum Thema Arbeit und Behinderung haben. Die z.B. nicht wissen, ob und wie sie ihrem Arbeitgeber oder Kollegen von ihren Sorgen und Ängsten im Zusammenhang mit ihrer Leistungsfähigkeit sprechen sollen. Denen eine berufliche Perspektive nach langer Arbeitsunfähigkeit oder einer OP fehlt.

Menschen, die wie ich ihre eigenen gesundheitlichen Grenzen haben, jedoch einen Traum vom leistungsfähigen Arbeiten, so wie sie es zu leisten imstande sind. Und die das Recht auf eine Arbeit haben und auf die Würde des Menschen.

Und was war mit der Fortbildung? Ach ja…meine Technik funktionierte erst gar nicht und ich wollte alles hinschmeißen. Doch ich habe mich an den Tip meiner Kollegin aus dem IFD erinnert: erst mal in Ruhe alle Fehlerquellen überprüfen (wie bei der Spülmaschine ) und siehe da, ich hatte einen falschen Empfänger aufgesteckt. Danach klappte es prima – ich bin um eine effektive Fortbildung voller Infos und Workshops, um nette Begegnungen, aber auch um wertvolle Selbsterfahrung reicher:

Es geht alles, man braucht nur den Mut, Gelassenheit und die richtige Unterstützung an seiner Seite, um die Segel richtig zu setzen!



Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen….

.damit auch Menschen mit Behinderung berufliche Träume verwirklichen können

Ein Erfahrungsbericht von Christina Helsper